Aufgrund von Beschleunigung, Digitalisierung und Globalisierung werden zuverlässige Prognosen immer weniger möglich. Wir haben mit dem Change-Experten Dr. Hans-Joachim Gergs über die kontinuierliche Selbsterneuerung von Unternehmen gesprochen und über die Chancen und Risiken, die damit einher gehen.
Welche Trends siehst Du aktuell im Change-Management der Unternehmen?
a) Agilität: Unternehmen setzen verstärkt auf agile Methoden, um schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Das bedeutet, dass sie flachere Hierarchien haben, schneller Entscheidungen treffen und ihre Prozesse anpassen.
b) Digitalisierung: Die Digitalisierung hat auch das Change Management verändert. Unternehmen nutzen digitale Tools, um Veränderungsprozesse zu planen und umzusetzen. Auch die Kommunikation und Zusammenarbeit im Rahmen von Veränderungsprozessen findet verstärkt digital statt.
c) Kultureller Wandel: Unternehmen setzen sich mehr mit ihrer Unternehmenskultur auseinander und arbeiten daran, diese zu verändern. Ziel ist es, eine Kultur der Offenheit, Transparenz und Zusammenarbeit zu schaffen.
d) Stakeholder-Management: Stakeholder-Management ist ganz zentral, um die Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen und in den Veränderungsprozess einzubeziehen.
e) Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeitsthemen werden immer häufiger in Veränderungsprozesse integriert, um Veränderungen so zu gestalten, dass sie ökologisch und sozial nachhaltig sind.
f) Führung: Die Rolle der Führungskräfte im Change Management wird immer wichtiger. Sie müssen den Veränderungsprozess initiieren, steuern und kommunizieren. Dabei kommt es auch darauf an, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu transportieren.
g) Datenanalyse: Auch im Change Management werden vermehrt Daten genutzt, um den Veränderungsprozess zu steuern und zu optimieren. Unternehmen setzen auf Data Analytics, um den Fortschritt der Veränderung zu messen und anzupassen.
Kommen wir zum ersten von Dir angesprochenen Trend. Ist Agilität ein „Allheilmittel“ oder was gibt es für Unternehmen hier zu beachten?
Praxisbeispiele zeigen klar und deutlich, überstürztes „Agilisieren“ macht instabil! Und nicht nur das: Wo alles auf einmal über den Haufen geworfen wird, heißt das Ergebnis Orientierungslosigkeit. Das gesamte Unternehmen fängt an zu schlingern, denn es droht seine innere Stabilität und seine Identität zu verlieren. Das rückt das Konzept der „Ambidextrie“ in den Blickpunkt. Ambidextrie steht dafür, Neues zu schaffen und gleichzeitig Bewährtes zu bewahren. Sie bildet das Fundament, um Teile des bisherigen Kerngeschäfts radikal in Frage zu stellen und zu erneuern. Gleichzeitig müssen bewährte Produkte und Prozesse kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert werden, denn hier verdienen die Unternehmen das Geld, um in zukünftige Produkte und Dienstleistungen investieren zu können. Ambidextrie bedeutet also nichts anderes als Innovation im laufenden Betrieb. Und das wird in der heutigen Zeit immer wichtiger.
Was muss eine zielgerichtete und verantwortungsvolle Change Beratung vor diesem Hintergrund leisten?
a) Analyse der Situation: Bevor Veränderungen vorgeschlagen werden können, muss die aktuelle Situation analysiert werden. Hierbei sollten die Stärken und Schwächen des Unternehmens oder der Organisation identifiziert werden, um die Veränderungen auf die Bedürfnisse und Anforderungen des Unternehmens abstimmen zu können.
b) Klärung des Ziels: Es ist wichtig, dass das Ziel der Veränderung klar definiert wird. Was soll erreicht werden? Welche Ergebnisse sind erforderlich? Das Ziel sollte spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitgebunden sein.
c) Einbeziehung aller Beteiligten: Das Change Management gelingt nur, wenn alle relevanten Stakeholder einbezogen werden, wie z.B. Mitarbeitende, Führungskräfte, Kunden und Lieferanten. Jeder Stakeholder hat unterschiedliche Anforderungen und Bedürfnisse, die berücksichtigt werden müssen.
d) Entwicklung eines Plans: Der Plan enthält wichtige Meilensteine ist aber agil, d.h. er wird in Retrospektiven immer wieder angepasst. Hier werden auch mögliche Hindernisse und Risiken sowie Maßnahmen identifiziert, um den Prozess zu managen.
e) Kommunikation: Und schlussendlich ist effektive Kommunikation entscheidend für den Erfolg von Change-Prozessen. Und ich möchte hinzufügen: Sie wird in zunehmend unsicheren Zeit immer wichtiger. Gut zu kommunizieren, heißt für mich einerseits Teilhabe und Engagement, andererseits Sicherheit, Berechenbarkeit und Transparenz für die Beschäftigten herzustellen.
Hast Du einen Tipp, wie Unternehmen den Prozess des permanenten Wandels verinnerlichen können?
Viele Unternehmen und Organisationen sind ständig in Bewegung, brechen aber nirgendwohin wirklich auf. Das nenne ich auch gerne „rasenden Stillstand“. Deshalb sind Zeiten für die Selbstreflexion sehr wichtig: So fängt Selbsterneuerung an. Dazu gehören zum einen Auszeiten, aber auch Workshops, Coachings und Trainings, um zu reflektieren, wo das Unternehmen steht und wo es hinwill. Prinzipiell kann Erneuerungsfähigkeit nicht durch eine – scheinbar einfache – „Revolution“ eingeführt werden. Die Unternehmen müssen langfristig dranbleiben.
Dr. Hans-Joachim Gergs arbeitet als Senior-Berater für Audi in Ingolstadt. Zudem lehrt er an der TU München und an den Universitäten Heidelberg und Regensburg.